Wir schreiben das Jahr 2004. Simon Sagmeister tritt eine Stellung in der Organisationsentwicklung eines Familienbetriebes an, um im Rahmen seiner Dissertation theoretisch zu erklären, wie Organisationskultur praktisch gehandhabt wird. Und das so, dass für Unternehmen praktische Tipps zur Umsetzung abfallen.

Die Schwierigkeit: Während eine Strategie ziemlich genau vorgibt, wann und wo etwas zu tun ist, bleibt die Kultur eines Unternehmens doch ein sehr schwammiger Begriff. Es ist nämlich eine Sache, was wir sehen. Eine andere ist es, wie es wirklich gelebt wird. Der Tischkicker im Pausenraum, das lässige T-Shirt statt der Krawatte oder die Yogastunde für das Team – ist das Unternehmenskultur? Es sind sichtbare Manifestierungen, die aber wenig darüber aussagen, was unter der Oberfläche passiert. Auch ein Vorgesetzter im Jogger kann ein Virtuose im Mikromanagement sein und zu cholerischen Ausfällen neigen.

„In meiner Arbeit mit Unternehmen wurde mir schnell bewusst, dass sichtbare Manifestierungen nicht immer für bare Münze genommen werden können“,

schließt Sagmeister. In seiner Dissertation bringt er wissenschaftliche Erkenntnisse und seine praktischen Erfahrungen zusammen. Sein leitendes Motiv: der Eisberg. Wie wir auch von diesem nur einen Bruchteil sehen, erkennen wir auch von der Organisationskultur nur ein Minimum. Der Großteil, und damit die wesentlichen Eigenschaften, liegt unterhalb der Oberfläche. Aufbauend auf diesem visuellen Bild entwickelte er die Culture Map. Das Konzept erschien erstmals 2016 als „Business Culture Design“. 

Nun erscheint die überarbeitete Auflage des Standardwerkes – ihre Gültigkeit hat die Culture Map bis heute nicht verloren. „Sie visualisiert den Eisberg, sie erklärt die sichtbaren Manifestationen und auf welche Grundlagen diese zurückzuführen sind“, so Sagmeister. 

Simon Sagmeister: Business Culture Design
©The Culture Institute

Sieben Farben, die für sieben Kulturausprägungen stehen, bilden die Werte einer Organisation ab. Der Aufbau orientiert sich an den sieben Etappen der Evolutionsgeschichte, in der sich verschiedene kulturelle Wertesysteme entwickelt haben. Mit jeder (Weiter-)Entwicklung haben Menschen mehr Möglichkeiten gefunden, Lösungen für zunehmend komplexe Lösungen zu entwickeln. 

Während Violett für Sicherheit, Sippschaft, Patriarchale Führung, Loyalität zur eigenen Gruppe und Identität steht – und damit klassische Werte von traditionellen Unternehmen vertritt –, folgen Menschen, die in stark Aqua-geprägten Unternehmen arbeiten, einer Mission, die die Welt verbessern soll und sinnstiftend ist. Letztere Werte lassen sich häufig in jungen Unternehmungen wie Start-ups finden. 

Neben dieser Lesart bietet die Culture Map auch eine weitere an: Jeweils drei der farbigen Sechsecke liegen eher links oder rechts der y-Achse. Auf der linken Seite finden sich eher Ich-bezogene Wertesysteme, auf der rechten Seite eher Wir-bezogene Wertesysteme. Denn „gleichzeitig zeigt die Culture Map ein Wechselspiel zwischen gruppenorientierten, stabilisierend wirkenden Werten auf der rechten Seite und individualistischen, dynamisierend wirkenden Werten links“, erklärt Sagmeister.

Dabei bedient ein Unternehmen nie nur eine Farbe, denn Kulturen sind immer vielfältig. Aber „Organisationen entwickeln Gewohnheitsmuster, in manchen Organisationen werden Konflikte typischerweise grün – weil harmoniesüchtig – vermieden oder pragmatisch orange umgangen, in anderen rot ausgetragen (Kulturen, in denen Autorität auf Macht basiert) oder auf violette Weise vom Patriarchen gelöst.“

Simon Sagmeister: Business Culture Design
©The Culture Institute

Mit der Culture Map erhalten Organisationen ein Werkzeug an die Hand, um die eigene Kultur – die unterhalb der Oberfläche – besser zu verstehen. Erst wenn dieser Schritt getan ist, können Teams nachvollziehen, wie bisher Entscheidungen getroffen, Potenzial genutzt oder auch verschenkt wurde. Diese Erkenntnisse, die die ganz individuelle Culture Map bietet, bilden die Grundlage, um an der eigenen Kultur zu arbeiten. Stark verkürzt und heruntergebrochen: Wer ein zukunftsfähiges Unternehmen in Selbstorganisation sein möchte, kann nicht im unteren roten und violetten Bereich herumdümpeln. 

In seinem Buch stellt Simon Sagmeister das stark visuell angelegte Konzept der Culture Map vor, um anschließend den Brand Culture Design-Prozess in kompakter Art und Weise zu vermitteln. Die starke Visualität ermöglicht es Unternehmen tatsächlich, ihre Kultur, ihre Schwerpunkte und vielleicht auch Achillessehnen sichtbar zu machen. Das ist ein enormer Vorteil des Konzepts: weniger Worte und mehr Sichtbarkeit. 

Roter-Reiter-Fazit

Ein in seiner Visualität sehr reizvolles Konzept, das Teams und Organisationen dazu einlädt, die eigene Kultur sichtbar zu machen – um sie dann Stück für Stück weiterzuentwickeln. 

Simon Sagmeister: Business Culture Design. Unternehmenskultur gestalten mit der Culture Map
Campus, 2024
264 Seiten, 44 Euro

ISBN 9783593515519

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